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Rassismus tötet! Kundgebung in Gedenken der Opfer rechten Terrors

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Rassismus tötet!
Kundgebung und Gedenken an die Opfer rechter Gewalt
Am 4. November lösten eine explodierende Wohnung und ein brennender Wohnwagen
Ermittlungen aus, die zur bis dahin unentdeckten Nazi-Gruppe „Nationalsozialistischer
Untergrund“ (NSU) führten. Mindestens zehn Tote und zwei Dutzend zum Teil schwer
Verletzte im ganzen Bundesgebiet haben die Mörder vom NSU nach bisherigen
Erkenntnissen zu verantworten. Neun Menschen wurden von der Nazi-Gruppe gezielt
hingerichtet, weil sie den Nazis als „Ausländer“ und somit als „Volksfeinde“ galten.
Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Yunus Turgut, İsmail
Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, und Halit Yozgat wurden Opfer dieses
rassistischen Wahnsinns. Wir wollen am 17. Dezember mit vielen Menschen zusammen
kommen, um ihrer gemeinsam zu gedenken.
Das volle Ausmaß der im ganzen Bundesgebiet aktiven Nazi-Gruppe NSU lässt sich bisher
nur erahnen. Sicher ist, dass es sich nicht nur um eine „Trio“ handelte, sondern dass
zumindest ein unterstützendes Netzwerk aus gut organisierten Neonazis bestand, z.T.
bekannte Kader aus Kameradschaften und NPD, wie die Verhaftung des Ex-NPD-Vize Ralf
Wohlleben wegen Mittäterschaft zeigt. Auch das Wissen und die Verstrickungen des
Verfassungsschutzes sind noch weitgehend ungeklärt. Es ist keine neue Erkenntnis und
trotzdem erschreckend, dass die großzügige Entlohnung von V-Leuten (also aktiven Nazis,
die gutes Geld dafür bekommen, dem Verfassungsschutz Informationen zu geben) offenbar zu
einem Finanzierungssystem für militante Nazis geworden ist. Bis zu 1,5 Millionen Euro
flossen auf diesem Weg allein in Thüringen seit 1994 in dankbare Nazi-Hände.
Verharmlosen, Entpolitisieren und Wegsehen – so war der Umgang staatlicher Behörden mit
Nazis an vielen Orten. Wenn jetzt Befugnis-Erweiterungen für Polizei und Verfassungsschutz
gefordert werden, geht das in die völlig falsche Richtung. Es sind vor allem Antifa-Gruppen,
Organisationen von Migrant_innen und zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechts, die
spätestens seit der rassistischen Gewaltwelle nach dem Mauerfall immer wieder versuchen,
Nazi-Strukturen und ihre Verbindungen in Politik, Sicherheitsbehörden und etablierte
konservative Kreise aufzudecken und auf deren Gefährlichkeit aufmerksam zu machen.
Bestenfalls wurden sie ignoriert, schlimmstenfalls mussten sie mit Ärger und staatlicher
Verfolgung rechnen.
Plötzlich geben sich auch Christdemokrat_innen betroffen und antifaschistisch. Welche
Heuchelei –es war doch ein Ziel der „Anti-Extremismus-Kampagne“ der CDU/CSU unter
Führung von Kristina Schröder, mit dem Begriff „Extremismus“ antirassistische und
antifaschistische Linke gleichzusetzen mit der Menschenverachtung der Nazis, mit ihrem
mörderischen Rassismus und Antisemitismus. Als wäre es egal, ob Menschen Gesetze
übertreten, um einen Nazi-Aufmarsch zu verhindern oder einen Atomtransport zu stoppen
oder ob sie für ein neues Drittes Reich kämpfen. Das konservative Engagement gegen Links
hatte zur Folge, dass antifaschistischen Initiativen massiv Gelder gestrichen wurden, z.B.
Opferberatungen für Betroffene rechter Gewalt. Verfassungsschutz und Kristina Schröders
Kampagne werben inzwischen sogar in Schulen für den Kampf gegen sogenannten
„Linksextremismus“ – verkleidet als Präventionsarbeit wird überzeugter Antifaschismus unter
Verdacht gestellt. Gleichzeitig wird Jugendeinrichtungen wird der Hahn zugedreht. Dabei isteine vielfältige, antirassistische und radikaldemokratische Jugendkultur wohl das
erfolgreichste und nachhaltigste Mittel gegen rechte Gewalt. Es waren und sind vor allem
junge Menschen, die Nazis an vielen Orten mit Aufklärungsarbeit und manchmal auch mit
handfester Gegenwehr zurückdrängen. Diese Initiativen gehören gestärkt und nicht die
Sicherheitsbehörden. Polizei und Verfassungsschutz sind keine Organe einer offenen
Gesellschaft und durch ihre autoritäre Organisationsform und ihren Staatsauftrag ziehen sie
traditionell eher Nationalist_innen und Rechte an als Freiheitsfreund_innen.
Nun ist man allerorten „geschockt, betroffen und empört“. Warum erst jetzt? Wo haben die
Überraschten denn all die Zeit gesteckt? Über 180 Menschen wurden seit 1990 Opfer
rassistischer Gewalt. Auf der Straße tot getreten oder in ihren Betten angezündet. Ist der
klatschende und johlende Mob vor dem brennenden Sonnenblumenhaus in Rostock schon
vergessen? Und das ist nur die traurige Spitze des deutschen Eisbergs. Wer den Betroffenen
von Rassismus zugehört hätte, wüsste um die Verfasstheit dieser Gesellschaft, um die Blicke,
die blöden Sprüche, die Fragen nach der „eigentlichen“ Herkunft, die Benachteiligung bei der
Wohnungs- und Arbeitssuche, um die alltäglichen Diskriminierungen und Erniedrigungen.
Und wer diese Stimmen nicht gehört hat, hätte es auch nachlesen können, ganz offiziell und
wissenschaftlich, z.B. in den unterschiedlichen Untersuchungen zu menschenfeindlichen
Einstellungen, die der BRD ein stramm-rechtes Potential von 20 Prozent der Bevölkerung
bescheinigen. Das ist kein „Rechtsextremismus“-Problem. Rassismus ist fester Teil
konservativer Stammtische und deutscher Leitkultur. Sarrazin war ein populärer Lautsprecher
dieser Mitte. Doch die Diskriminierung findet ganz ohne Aufsehen im Alltag statt. Durch
unsere rassistisch denkenden Nachbar_innen, Vorgesetzten, Personalchefs, Lehrer_innen,
Erzieher_innen, Polizist_innen, Sachbearbeiter_innen und so weiter.
Die Angehörigen der Opfer des NSU traf dieser Rassismus gleich doppelt. Nachdem ein
nahestehender Mensch ermordet wurde, mussten sie Verleumdungen durch die ermittelnden
Beamten ertragen, weil deutsche Polizist_innen bei ermordeten Gewerbetreibenden mit
türkischen und griechischen Namen wohl nur an Mafia und Schutzgeld denken können. Die
Stimmen der Angehörigen, das sei böse Unterstellung und es müsse sich um eine rassistische
Attacke handeln, wurden schlicht ignoriert. Stattdessen wurde ein Soko „Bosporus“ gegründet
und die Taten als „Döner-Morde“ betitelt. Was deutschen Beamt_innen scheinbar so einfällt,
wenn sie es mit türkischen Namen zu tun haben.
Es sind Menschen gestorben. Menschen mit Familie, Freund_innen, Träumen, Ängsten und
einer Geschichte. Die Zukunft wurde ihnen genommen.
Gegen diesen Rassismus, gegen diese Menschenfeindlichkeit stellen wir uns gemeinsam mit
allen, die sich eine gerechte und inklusive Gesellschaft wünschen. Eine Gesellschaft, in der es
möglich ist, ohne Angst verschieden zu sein!

Redebeitrag 17.12.